Wir stellen vor: WIR KÜMMERN UNS „Barrierefrei Feiern“

Puls Open Air / Eröffnungstag für das Festival auf Schloss Kaltenberg
Gründung und Motivation: Was hat euch dazu bewegt, die Initiative „Barrierefrei Feiern“ ins Leben zu rufen, und welche Erfahrungen haben euch dabei besonders geprägt?
Die Initiative Barrierefrei Feiern ist ein Kollektiv aus ca. 40 Menschen mit Behinderung, die alle entweder Popkulturschaffend, -affin, -interessiert bzw. aus der Eventbranche kommen oder ganz einfach gern feiern gehen. Alle haben gemeinsam, dass sie über die vielen Barrieren auf Festivals oder in Clubs unzufrieden sind und etwas verändern möchten, damit gleichermaßen Teilhabe ermöglicht wird. Davon sind wir leider noch sehr weit entfernt. Zwar nehmen es sich immer mehr Festivals zur Aufgabe etwas zu ändern und das Thema Inklusion im Rahmen ihrer Nachhaltigkeitsprogramme zu etablieren, aber zum Großteil längst noch nicht weitreichend genug. Bei Festivals, die quasi aus dem Nichts aufgebaut werden, ist es auch noch etwas einfacher von vornerein an Barrierefreiheit zu denken. Schwieriger wird es bei Clubs und festen Veranstaltungsstätten. Hier hapert es häufig an Brandschutzauflagen oder Denkmalschutz, wobei dies auch oft nur ein vorgeschobener Grund ist, damit man sich nicht um Barrierefreiheit kümmern muss. Außerdem befinden sich Clubs häufig in allgemein unzugänglichen Gebäuden bzw. halten keine barrierefreien Toiletten vor. Hier ist noch viel zu tun, da man über das Jahr gesehen ja häufiger in Clubs oder Bars ausgeht als auf Festivals.
Beratungsansatz: Wie gestaltet sich euer Beratungsprozess mit Veranstaltenden, und welche Schritte sind notwendig, um eine Veranstaltung barrierefrei zu machen?
Aus der Initiative Barrierefrei Feiern hat sich die gemeinnützige Beratungsagentur WIR KÜMMERN UNS gebildet, die inzwischen mehrere festangestellte Mitarbeiter*innen mit Behinderung beschäftigt. Ein Beratungsprozess startet in der Regel mit einer Sprechstunde, in der erörtert wird, in welchem Rahmen bereits Maßnahmen durchgeführt wurden und was die Ziele im Blick auf die Barrierefreiheit bzw. die Inklusionsmaßnahmen sind. Im weiteren Verlauf finden dann Workshops mit verschiedenen Schwerpunkten statt, bei denen nicht nur das Bewusstsein für Inklusion erweitert wird, sondern auch möglichst viele Gewerke geschult und sensibilisiert werden. Diese Workshops finden immer mehrperspektivisch statt. Das heißt, dass immer mindestens eine rollstuhlfahrende und eine blinde Person den Workshop leiten. Kommt es dann im besten Fall zu einer ganzheitlichen Prozessbegleitung nehmen wir uns die Website, die FAQs und den Ticketshop vor und überprüfen diese auf Barrierefreiheit, Informationsangebot und Ticketauswahl. Außerdem übernehmen wir das Communitymanagement, damit die Besucher*innen der Veranstaltung gleich Ansprechpartner*innen auf Augenhöhe haben.
Für die infrastrukturellen Maßnahmen machen wir eine Ortsbegehung und schauen, was umsetzbar ist und wo es Barrieren gibt, die abzubauen sind. Diese werden in einem Maßnahmenkatalog gesammelt und gemeinsam mit der Produktion besprochen und bestenfalls abgebaut.
Während der Veranstaltung sind wir dann vor Ort und briefen im ersten Schritt jegliches Personal, dass mit Besucher*innen mit Behinderung in Kontakt kommt. Wir bauen außerdem einen eigenen Stand auf, der als erste Anlaufstelle dient. Wir bieten Bring- und Abholservices an und betreuen beispielsweise die Rollstuhlpodeste. Wir dienen weiterhin als Schnittstelle zwischen den Fans mit Behinderung und den Veranstaltenden und sorgen dafür, dass kurzzeitige Schwierigkeiten behoben werden. Wir sorgen für ein reibungsloses Ein- und Auslassmanagement und dienen ebenfalls als Ansprechpartner*innen, wenn es zu Unklarheiten zwischen Personal und Besucher*innen mit Behinderung kommt.
Im Nachgang findet dann noch eine Auswertung statt mit entsprechenden Verbesserungsmaßnahmen für kommende Veranstaltungen.
Herausforderungen: Welche häufigen Barrieren begegnen euch in der Kulturszene, und wie geht ihr damit um?
Die Frage ist eher welche Barrieren uns nicht begegnen. Natürlich sind unglaublich viele Locations nicht barrierefrei. Das startet schon ganz simpel mit der Zugänglichkeit für Rollstuhlfahrende, die mit einer einfachen Rampe erledigt wäre. Als Mensch mit Behinderung kann man sich nicht aussuchen in welchem Club oder auf welches Konzert man gehen möchte. Man muss quasi das nehmen, was für jeden persönlich zugänglich ist. Menschen mit Behinderung können ihre Kultur nicht so ausleben, wie es andere tun, da ihnen nicht die Möglichkeit dazu geboten wird. Die größte Barriere ist also die Veranstaltenden und die Betreiber*innen davon zu überzeugen, dass Barrierefreiheit nötig ist.
Erfolge: Könnt ihr ein Beispiel für ein besonders gelungenes Projekt nennen, bei dem eure Beratung zu einer inklusiveren Veranstaltung geführt hat?
Ein besonders gelungenes Projekt ist die Zusammenarbeit mit Loft Concerts. Wir betreuten in den vergangenen Jahren die Konzertreihen von Die Ärzte und Die Toten Hosen auf dem Tempelhofer Feld mit über 60.000 Personen pro Tag. Hier wurden wir von Anfang an in die Produktionsabläufe mit aufgenommen und man spürt, dass Inklusion gewollt und kein notwendiges Übel ist.
Zusammenarbeit: Wie wichtig ist die Einbindung von Menschen mit Behinderung in eure Projekte, und wie stellt ihr sicher, dass ihre Perspektiven berücksichtigt werden?
Die Einbindung von Menschen mit Behinderung ist der Grundstein in unserer Arbeit. Aus unserer Sicht kann ein Projekt nicht barrierefrei werden, wenn keine Menschen mit Behinderung aktiv in die Planung integriert sind. Deshalb beschäftigen wir auch nur Expert*innen in eigener Sache und sehen das als unser Alleinstellungsmerkmal, was uns deutschlandweit einzigartig professionell und führend macht.
Ziele und Visionen: Welche langfristigen Ziele verfolgt ihr mit „Barrierefrei Feiern“ und „WIR KÜMMERN UNS“, und welche Entwicklungen wünscht ihr euch für die Zukunft der Kulturszene?
Die Initiative Barrierefrei Feiern soll weiterhin ein wachsendes Kollektiv aus kulturinteressierten Menschen mit Behinderung sein, die es sich zur Aufgabe machen, auch durch Aktivismus, die popkulturelle Landschaft in Deutschland nachhaltig inklusiv zu gestalten.
WIR KÜMMERN UNS und ähnliche Agenturen sollten ein Grundbestandteil eines Planungsprozesses werden. Alternativ sollten mehr Menschen mit Behinderung in die popkulturelle Arbeitswelt integriert werden, damit von vornerein an Barrierefreiheit gedacht bzw. diese gefördert wird. Für beides setzen wir uns ein.
Sensibilisierung: Wie schafft ihr es, das Bewusstsein für die Belange von Menschen mit Behinderungen in der Kulturbranche zu erhöhen?
Das geht, wie zuvor erwähnt, nur indem man Menschen mit Behinderung in die Abläufe integriert. Das Häufigste, was wir hören, ist „Stimmt! Das wird mir jetzt erst bewusst, wo ihr es sagt. Als nicht behinderte Person denkt man da gar nicht dran.“
Finanzierung: Wie finanziert sich eure Arbeit, und welche Rolle spielt dabei die Vergütung eurer professionellen Services?
Wir sind seit Gründung zu 100% ohne Förderungen ausgekommen. Wir haben ein Angebotskatalog, der von den Betreiber*innen und Veranstaltenden entsprechend gebucht werden kann. Mit unseren Preisen sorgen wir dafür, dass wir unsere Mitarbeiter*innen und Freelancer*innen gut entlohnen können.
Netzwerk: Mit welchen Partner*innen und Organisationen arbeitet ihr zusammen, um eure Ziele zu erreichen?
Wir stehen mit vielen Selbstvertretungsorganisationen in Kontakt und Austausch. Außerdem sprechen wir natürlich mit vielen Gewerken der Veranstaltungeszene. Wir haben aber keine festen Partner*innen in dem Sinne.
Aktuelle Projekte: An welchen Projekten arbeitet ihr derzeit, und wie können Interessierte euch unterstützen oder mit euch kooperieren?
Wir haben einige Projekte an denen wir arbeiten. Viele davon sind auch Wiederholungen aus den Vorjahren. Unterstützen kann man uns am ehesten indem man selbst auf Barrieren aufmerksam macht und uns gegebenenfalls vermittelt. Be an ally and spread the message. Geht auf die Betreiber*innen zu und fragt, wie es mit der Barrierefreiheit aussieht. Wenn ihr selbst etwas plant, dann nehmt Menschen mit Behinderung mit ins Boot. Das gilt nicht nur für große Veranstaltungen oder Clubs. Das gilt auch schon im privaten Rahmen.
WIR KÜMMERN UNS
barrierefreier Veranstaltungsservice gUG
Gostenhofer Hauptstrasse 23
90443 Nürnberg
Tel: 01573 879 5555
In Kooperation mit Initiative Barrierefrei Feiern (IBF)
https://barrierefrei-feiern.de/
https://www.instagram.com/initiativebarrierefreifeiern/