Im Rahmen unserer Winterhilfe möchten wir euch Vereine und Organisationen vorstellen, die Ihre Arbeit direkt dem Menschen und seinem Leben widmen. Wir freuen uns euch den Hamburger Verein „Leben im Abseits“ vorzustellen und haben mit Susanne Groth ein kleines Gespräch geführt.

1) Stell dich doch bitte kurz vor

Seit 2008 arbeite ich als freie Journalistin und schreibe Reportagen, Hintergrundberichte und Interviews. Meine Themenschwerpunkte sind:
• Politik
• Wirtschaft
• Soziales
• Humanitäres
Langjährige Erfahrungen kann ich mit Reportagen und Hintergrundberichten aus dem Nahen und Mittleren Osten vorweisen. Mich nimmt es gefangen, fremde Länder, Kulturen, Sitten und Bräuche erleben zu können. Ich will herausfinden, was und warum etwas passiert, Fragen stellen und Antworten suchen. Denen eine Stimme geben, die keine haben. Wer gute Berichte und Reportagen niederschreiben will, muss ganz genau beobachten und sehr gut zuhören können. Und – er darf keine Angst vor den Antworten haben!

2) Warum wurde „Leben im Abseits“ gegründet, was war der Beweggrund?

Im Jahr 2016 haben wir mit „ABSEITS – Vom Leben am Rande der Gesellschaft in Hamburgs Mitte“, einen Bildband über die Gäste der Hamburger Einrichtung für Obdachlose „CaFée mit Herz e.V.“ herausgebracht. Bei diesen Menschen handelt es sich um Bedürftige, Obdachlose, Senioren und Hartz IV-Empfänger; Menschen, die am Rande der Gesellschaft ums tägliche Überleben kämpfen. Sie erzählten im Rahmen der Interviews von ihren Leben, Wünschen, Ängsten und Träumen.
Es entwickelten sich im Verlauf der Erstellung des Bildbandes enge Kontakte zu Obdachloseneinrichtungen, der Polizeibehörde, der Behörde für Soziales und Arbeitskreisen. Anhand von diversen Gesprächen mit diesen Akteuren wurde schnell deutlich, dass zwar Einrichtungen für die unterschiedlichen Gruppen obdachloser und bedürftiger Menschen vorhanden sind, diese jedoch der Öffentlichkeit kaum bzw. gar nicht bekannt sind. Das zeigte sich auch auf unseren Lesungen. Es wurden viele Fragen gestellt, die das große Informationsdefizit deutlich machten. Aus dieser Erkenntnis heraus gründeten wir im November 2017 den Verein Leben im Abseits e. V. um das fortzusetzen, was mit dem Bildband begonnen hatte:
Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit bezüglich der Thematik Obdachlosigkeit, Armut und Randgruppen zu leisten, ein Netzwerk einzurichten und sukzessive zu erweitern. Soziale, unterstützende Arbeit direkt auf der Straße zu leisten und zu versuchen, obdachlose Menschen durch gezielte Ansprache mit kompetenten Akteuren der Obdachlosenhilfe zu vermitteln, damit sie wieder in das Regelsystem kommen, ist ebenso unser Hauptanliegen, wie bei Bedarf schnelle unkomplizierte finanzielle Unterstützung zu leisten.


3) Wie sieht euer Alltag aus, wen man euch einen Tag begleiten würde?

Morgens gehen wir erst einmal über den Kiez und schauen nach den Menschen, die dort auf der Straße leben. Wir tauschen uns dabei durchgehend mit unseren Netzwerkpartnern über die aktuelle Lage, Notfälle und Bedarfe aus. Wir sind auch regelmäßig gemeinsam mit Bürgernahen Beamten der Davidwache unterwegs. Wir versorgen Menschen auf der Straße mit Lebensmittelgutscheinen, Geldspenden, Schlafsäcken, Kleidung und Nahrung. Auch das Begleiten zu Behörden z. B. zum Beantragen von Leistungen und später auch eine Betreuung der Menschen in neuem Wohnraum sind Teil unseres Alltags. Durch die Vernetzung in unserem Arbeitskreis können wir die Menschen bei Bedarf direkt Fachkräfte vermitteln und sie so bei einer Rückkehr ins Regelsystem unterstützen.
Die Betreuung und Organisation unseres neuen Projekts „Der Schritt Vorwärts – Ein Weg aus dem Abseits“ ist seit Mai ebenfalls Teil unserer Vereinsaufgaben. Damit bieten wir ganzjährig, unabhängig von Pandemie oder Winter, sechs Einzelunterkünfte auf Zeit im Hotel. Die Teilnehmer haben dort die Möglichkeit, mit qualifizierter Unterstützung die Rückkehr ins Regelsystem zu beginnen.
Ein weiterer Bestandteil unserer Arbeit ist die Öffentlichkeitsarbeit. Mit Lesungen, unseren Talks und Dialogen versuchen wir auf das Schicksal von Menschen im Abseits aufmerksam zu machen, um ein Umdenken in der Gesellschaft anzustoßen. Bildungsarbeit ist in diesem Zusammenhang ein wichtiger Faktor. Wir gehen daher an Schulen und leisten dort in Form von Projekttagen/-wochen Aufklärungsarbeit.

4) Trefft ihr bei eurer Arbeit auch viele Jugendliche die auf der Straße leben?

Vereinzelt treffen wir hier auch auf Jugendliche. Wir vermitteln diese an spezialisierte Projekte wie z. B. Off Road Kids. Die Bürgernahen Beamten der Davidwache werden außerdem auf minderjährige Jugendliche auf der Straße schnell aufmerksam und helfen sofort.

5) Wie sieht die medizinische Versorgung auf der Straße aus? Vermutlich ist nicht jeder versichert?

Krankenversichert sind nur Menschen, die im Leistungsbezug sind oder z. B. Rente beziehen. Das ist beim Großteil der Menschen auf der Straße nicht der Fall. Sei es, weil sie kein Anrecht auf Sozialleistungen haben, die komplexen bürokratischen Hürden und Voraussetzungen dafür nicht überwinden können oder aus Stolz nicht wollen. Ca. 75% der obdachlosen Menschen in Hamburg kommen aus Osteuropa, die meisten von ihnen haben kein Anrecht auf Sozialleistungen oder wissen einfach nicht, dass sie es haben. Für Menschen ohne Krankenversicherung gibt es in Hamburg einige kostenlose spendenfinanzierte Alternativen, wie z. B. die Krankenstube für Obdachlose, mobile Arztpraxen oder Schwerpunktpraxen. Es sind besonders wichtige Einrichtung, weil Obdachlose ohne Versicherung in Krankenhäusern nur behandelt werden so lange Lebensgefahr besteht. Danach werden sie einfach auf die Straße entlassen, oft in einem schlechten Zustand, der eine Nachsorge zwingend erforderlich macht.

6) Was wünscht du dir von der Politik, damit gezielter geholfen werden kann?

Ein Paradigmenwechsel in der Obdachlosenpolitik, besonders eine Abkehr von den menschenunwürdigen Massenunterkünften. Housing First ist die Zukunft ebenso wie andere angepasste Konzepte mit Einzelunterkünften. Es kann nicht sein, dass in unserem reichen Land immer noch Menschen auf der Straße leben und sterben müssen.

7) Wie bereitet ihr euch auf den Winter vor und was bietet ihr gegen die Kälte an?

In erster Linie ist die Versorgung der Menschen mit warmer Kleidung, Schlafsäcken und guten Schuhen natürlich wichtig. Wir sind in ständiger Absprache mit den Streetworkern unserer Netzwerkpartner und schauen, wie und wo die Menschen auf der Straße diesen Winter verbringen werden. Wir versuchen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erreichen und hoffen auf Solidarität. Da sich im Winternotprogramm der Sozialbehörde Hamburgs bisweilen nichts ändert, droht vielen Menschen, die es dort nicht ertragen können, der Kältetod auf der Straße. Im letzten Winter konnten wir dank großer Unterstützung viele Hotelzimmer anmieten. Wir möchten diese lebensrettende Maßnahme dieses Jahr wieder möglich machen. Allerdings ist die Spendenbereitschaft in dieser Zeit der steigenden Preise merklich gesunken. Ansonsten bleibt uns nichts anderes, als jeden Morgen zu schauen, ob die Menschen in ihrem Schlafsack noch atmen. Wir können sie mit warmen Getränken und Essen versorgen, aber was wirklich benötigt wird, sind menschenwürdige Einzelunterkünfte.

8) Wie kann man euch unterstützen?

Unser Verein wird ausschließlich durch Spendengelder finanziert, daher sind wir jedem Spender*innen dankbar, der/die es uns ermöglicht weiterzumachen. Mehr Infos dazu gibt es auf unserer Homepage www.leben-im-abseits.de

Darüber hinaus verkaufen wir in unserem Online-Shop Merchandise-Artikel, mit denen man die Solidarität der Menschen im Abseits bekunden kann. Auch unsere Bücher „ABSEITS-Vom Leben am Rande der Gesellschaft in Hamburgs Mitte“, „UNTER DEM RADAR-Leben und Helfen im Abseits“ und unsere ganz neue „ABSEITS-Fibel – Was weißt Du über Obdachlosigkeit?“ sind dort zu finden.
(Bilder: Leben im Abseits e.V.)