Awareness für Anfänger. Was du wissen solltest!
Wer in den letzten Jahren auf einer Demo, einem Club-Event oder Festival unterwegs war, ist vermutlich schon drüber gestolpert: „Awareness-Team“, „Safer Space“, „Triggerwarnung“, „Empowerment“. Für die einen ist das längst selbstverständlich.
Für andere klingt es wie die neueste Welle an Regeln, Ansprüchen und Sprachvorschriften.
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Gelegenheits-Clubgänger:innen, die politisch wenig Kontext haben und mit Begriffen wie „FLINTA*“ oder „Awareness-Struktur“ überfordert sind – und sich durch das neue Regelwerk verunsichert oder genervt fühlen.
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Technopurist:innen, die glauben, Techno habe nichts mit Politik zu tun, und jede Form von Haltung als Ideologie ablehnen.
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Ü30-Festivalveteran:innen, die mit einer „früher war das lockerer“-Haltung auf neue Umgangsformen reagieren und sich bevormundet fühlen.
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Macker mit Meinung, die sich durch feministische oder queere Präsenz eingeschränkt fühlen – oft unter dem Deckmantel von „Ich darf ja wohl noch flirten dürfen“.
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Szenekritische Stimmen von innen, die Awareness als moralisches Instrument zur Selbstprofilierung oder sozialen Kontrolle empfinden („Man darf ja gar nichts mehr sagen…“).
- Last but not least: die intellektuelle Panikfraktion: WELT-Kommentariat, AfD-Feuilleton-Rambos, FDP-nahe Kolumnist:innen mit Freiheitsfetisch. Die „Awareness“-Debatte ist für die längst ein Lieblingsfeindbild – irgendwo zwischen Cancel Culture, Gender-Gaga und Wokeness-Terror.
Was steckt dahinter? Woher kommt das? Und was bedeutet das konkret für dein Verhalten.
Awareness heißt übersetzt erstmal nur: Bewusstsein. Gemeint ist das Bewusstsein dafür, dass nicht alle Menschen gleich sicher sind, wenn sie feiern, demonstrieren oder sich im öffentlichen Raum bewegen. Sexismus, Rassismus, Queerfeindlichkeit, Übergriffe – all das passiert nicht nur „da draußen“, sondern auch mitten in der Szene. Und wer behauptet, das habe mit der Techno- oder Clubkultur nichts zu tun, verwechselt Idealbild mit Realität. Und vergisst dabei den Weg zum Club, Festival, Demo oder Nachhause.
Awareness bedeutet konkret: Hinschauen, statt wegsehen. Intervenieren, wenn nötig. Betroffene ernst nehmen.
Der Begriff Awareness taucht schon in den frühen 2000ern in feministischen Kollektiven auf – unter anderem in linken Hausprojekten, auf FLINTA*-Demos und queeren Raves. Entstanden ist das Konzept aus Erfahrung, nicht aus Theorie. Betroffene mussten sich selbst Strukturen schaffen, um sich zu schützen – weil Polizei, Security oder Veranstaltende das entweder nicht konnten oder nicht wollten.
Heute findet man Awareness-Teams auf großen Festivals wie der Fusion, bei Veranstaltungen wie der 1. Mai-Demo, bei Partys von Kollektiven.
Awareness-Teams sind keine Ersatzpolizei. Sie sind da, um Menschen in akuten Stress- oder Konfliktsituationen zu unterstützen – niedrigschwellig, parteiisch zugunsten der betroffenen Person, vertraulich. Oder, um einfach jemand beim Zug der Liebe ein Wasser zu reichen, eine Kopfschmerztablette, einen Apfel oder ein Pflaster. Selbst Toiletten auf der DEMO Route sind im Endeffekt Awareness.
Typische Situationen? Jemand wird ungefragt angetatscht. Eine Person wird plötzlich emotional überrollt, weil etwas in ihr etwas Altes aufreißt. Irgendwo eskaliert eine dumme Mackeraktion (Anmerkung für Gen Z: Ein Macker ist jemand, der nicht checkt, dass es nicht um ihn geht – und genau deshalb immer im Mittelpunkt stehen will.), und niemand weiß, wie man sie stoppt, ohne dass es komplett kracht. Genau da kommt Awareness ins Spiel – nicht als Moralinstanz, sondern als Backup. Zuhören, schützen, begleiten, stoppen, wenn’s sein muss. Und zwar auf der Seite der betroffenen Person. Nicht neutral. Sondern klar. Wir haben in den letzten zehn Jahren wirklich viel dafür getan, dass uns eine ganz bestimmte Klientel nicht mag, aber wir können eben nicht alle schlechten Rosinen rauspicken.
Awareness heißt nicht, dass man perfekt ist. Aber es heißt, Verantwortung zu übernehmen.
Ein paar konkrete Verhaltensregeln:
- Versteh, dass du nicht alles verstehen musst – besonders, wenn dir jemand sagt, dass etwas nicht OK war.
- Verhalte dich nicht wie eine wandelnde Rechtfertigung. Awareness ist keine persönliche Anklage, sondern ein kollektiver Prozess.
- Gib den Raum zurück. Wenn du dominant bist – laut, groß, männlich –, nimm dich auch mal bewusst raus, liebe Atze.
Kurze Antwort auf die Frage, ob man das alles mitmachen muss: Nö. Niemand wird gezwungen, auf ein Awareness-Team zuzugehen. Und ja, man kann auch feiern, ohne jemals selbst davon betroffen zu sein. Aber: Wer auf die Zug der Liebe Demo geht, die sich klar politisch positioniert, sollte zumindest nicht dagegen arbeiten.
Und noch was: Awareness kostet. Zeit, Energie, oft auch Geld. Ehrenamtliche Strukturen stoßen schnell an Grenzen. Wer also ein „Recht auf Awareness“ einfordert, sollte sich auch fragen: Was trägst du selbst dazu bei?
Awareness ist keine Wunderwaffe. Es gibt Fälle, in denen Betroffene sich nicht ernst genommen fühlten – oder irgendwelche Nasen geschützt wurden, weil sie Szene-Status hatten. Es gibt Kollektive, die den Begriff als Aushängeschild nutzen, ohne ihn zu leben. Und ja: Manchmal kippt es in Moralkontrolle, in Dogmatik, in implizites Gatekeeping. Das muss man ansprechen dürfen – sonst wird Awareness selbst zur Machtfrage.
Aber die Alternative ist nicht „Zurück zur Ignoranz“ sondern LIEBE DEINE GÄSTE und sorge für sie.
Awareness heißt nicht, dass du alle Codes kennst, alle Begriffe richtig aussprichst oder jede Lage korrekt einordnest. Es heißt nur, dass du bereit bist zuzuhören, Raum zu geben und Verantwortung zu teilen. Du musst nicht alles feiern. Aber wenn du in Räume gehst, die andere sich erkämpft haben, dann tritt nicht rein wie ein Touri mit Anspruch auf alles.
Awareness ist kein Türsteher. Aber manchmal ein Stoppschild. Nicht gegen dich. Sondern für alle. Letztlich ist Awareness wie ne gute Mutti.